Sascha Wiederhold

Gemälde, Bühnenbilder und Kostümentwürfe

Sascha (Ernst Walter) Wiederhold wird am 9. März 1904 in Münster als Sohn eines Feldwebels geboren. Er hat eine jüngere Schwester. Die nächste Station ist Düsseldorf, wo Wiederhold die Oberrealschule absolviert und sich an der Kunstakademie Düsseldorf einschreibt.

Lehrjahre in Düsseldorf

Bei Ernst Aufseeser studiert Wiederhold ab 1921 Architektur und Bühnenbild, Angewandte Kunst, Glasmalerei und Textilkunst. Dieser Pädagoge beeinflusst Wiederholds Kunst massgeblich, finden sich doch das leuchtende Kolorit und der schwingende Rhythmus, das angedeutet Erzählerische und das verschachtelt Flächige in Wiederholds grossen Kompositionen wie der «Princesse Verte», 1924, dem «Tänzer», 1926, der Jazz-Symphonie, 1927, den «Bogenschützen», 1928, und den «Segelbooten im Hafen», 1929, ebenso wie in den Wandmalereien eines Düsseldorfer Wohnhauses, geschaffen von Aufseeser.

In Wiederholds Studienjahre fällt die viel beachtete und diskutierte 1. Internationale Kunstausstellung Düsseldorf, 1922, an welcher ausser den Künstlern von Herwarth Waldens Berliner Galerie DER STURM die damalige internationale Kunst Avantgarde beteiligt ist: von Lyonel Feininger und Rudolf Bauer über Kurt Schwitters und Willi Baumeister zu Alexej von Jawlensky und Moholy-Nagy, um nur einige aufzuzählen.

Übersiedlung nach Berlin

1924 siedelt Wiederhold nach Berlin, wo er sich nach seinem dreijährigen Düsseldorfer Studium an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in der Fachklasse für Wand-, Theater- und Glasmalerei von Cesar Klein immatrikuliert. Auch durch Klein erhält der Künstler wegweisende und weit umfassende künstlerische Anregungen, die leider durch Wiederholds Wegweisung von der Unterrichtsanstalt unterbrochen werden. Da er sich keine Wohnung leisten kann, übernachtet der Künstler in einer leerstehenden Dienstwohnung der Kunstakademie, was ihm schlecht ausgelegt wird.

Ausstellung in Herwarth Waldens Galerie DER STURM

Nur ein Jahr später hat sich Wiederhold so bahnbrechend weit in seiner Kunst entwickelt, dass Herwarth Walden, die Integrationsfigur der Avantgarde der Goldenen 20er Jahre, auf ihn aufmerksam wird. Walden lädt den jungen Kunstschaffenden ein, im Juli 1925 in seiner Galerie DER STURM an der Potsdamer Strasse 134a in Berlin in seiner 142. auszustellen. Zwei Jahre später folgt eine zweite Schau bei Walden. Von Berlin geht es in die USA, wo Wiederhold ebenfalls in einer STURM-Ausstellung mitwirkt.

La Princesse Verte

Unter den präsentierten Werken dieser ersten monographischen Wiederhold Schau in der Berliner STURM Galerie ragen ein «Selbstbildnis» sowie die Gemälde «Madonna» und «La Princesse verte» heraus, die alle 1924 entstehen. Im letzteren vereinen sich typische Motive der 1920er Jahren zu einem erzählerischen Ganzen: die Verbindung von Bühnenkunst und Malerei, konstruktiven und flächigen Stilmitteln, von russischer Volkskunst bereichert, die besonders in der weiblichen Figur der «grünen» Prinzessin zum Tragen kommen. Diese unbekannte Geliebte stellt Wiederhold in kubistischer Abstraktion als Tänzerin mit grünem Haar dar. Sie trägt einen weiten grün, grau und beige durchwirkten Tanzrock und hält in der Linken eine Art Blasinstrument und in der Rechten einen Stab. Der Schriftzug: «HELAS PRINCESSE VERTE QUE JE T’AIME» rahmt die Figur der Prinzessin ein und dient zugleich als Gestaltungsmittel. Situiert ist sie in angeschnittene Häuser und Zwiebeltürme, die auf Russland weisen. Aber auch bildnerische Fülle und Verschachtelung von Flächen sowie die formale Reduzierung der Figur mit ihren charakteristischen Kopf- und Augenformen sind für dieses Werk typisch.

Wiederhold bedient sich auch der Form der in den 1920er Jahren beliebten Collage, indem er im oberen mittleren Bildteil eine in dunklen Ölfarben stark pastos gemalte Häuser- und Strassenszene einbaut. Diese bildet zur eigentlichen Komposition in warmem Orange, Ocker, Braun, von Grün akzentuiert, einen verblüffenden Kontrast. Gleichermassen manifestiert sich in diesem Werk vor allem in den dargestellten Zwiebeltürmen und der stilisiert gemalten «Grünen Prinzessin» Wiederholds Affinität zu Russland. Diese zeigt sich auch in seiner Signatur, nennt er sich doch russisch Sascha und monogrammiert seine Werke mit einem C, dem kyrillischen Buchstaben für S. Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss der Ballets Russes und später des russisch-sowjetischen Theaters auf seine Kunst.

Die Russische Kolonie in Berlin

In diesem Kontext ist die grosse russische Gemeinschaft in Berlin zu nennen, die sich nach der Russischen Revolution im Jahr 1917 aus geflüchteten Adligen und Grossbürgern, Geschäftsleuten und Börsenmaklern, aber auch aus Politemigranten und Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern zusammensetzte. Bis zu 600’000 russische Emigranten bildeten 1923 eine regelrechte Enklave an der Spree. Die Russen suchten ein neues Mekka in Berlin, was sich in mannigfachen russischen Varietés, Tanzlokalen, Theatern, Buchhandlungen, Diskussionszirkeln und Restaurants niederschlägt.

Erste Russische Kunstausstellung in Berlin

Wiederholds Interesse für Russland und dessen Kultur wurde 1922 durch die in der Galerie van Diemen & Co. stattfindende «Erste Russische Kunstausstellung» in Berlin intensiviert. Sascha Wiederhold und sein Mentor Herwarth Walden sind vom Russenfieber ergriffen und sympathisieren mit sozialistischem Gedankengut. Nicht nur sie, sondern auch andere westliche Künstlerkollegen der ca. 15’000 Ausstellungsbesucher sehen sich mit völlig neuen Ideen und innovativer Schöpferkraft konfrontiert, die sich in den über 700 Exponaten aus Bildern, Zeichnungen, Skulpturen und Porzellan von Chagall, Kandinsky, El Lissitzky, Malevich und vielen mehr niederschlägt.

Privatleben

Auf privater Ebene heiratet der Künstler 1925 die Krankenschwester Sibilla Schicks, 1893-1973, ihre Tochter kommt noch im selben Jahr zur Welt. Diese Ehe dauert nur 3 Jahre, heiratet Wiederhold doch in zweiter Ehe die Stenotypistin Rosa Dorothea Schönfeld, 1902-1983. Auch diese Verbindung wird nach nur 5 Jahren im Jahr 1932 geschieden und bleibt kinderlos. Allerdings geht Wiederhold 1940 mit Rosa Dorothea eine zweite Ehe ein.

Grossformatige Gemälde in der 2. Hälfte der 1920er Jahre

In der 2. Hälfte der 1920er Jahre produziert Wiederhold wenige, aber umso eindrücklichere Gemälde auf Papier, auf Karton oder Leinwand aufgezogen, die zum Teil durch ihre grossen bis riesigen Formate bestechen. Neben der gigantischen «Jazz-Symphonie», 1927, die stolze 306 x 456 cm misst, ragen die «Bogenschützen», 1928, «Figuren im Raum», 1928, der «Tänzer» 1926, und «Segelboote im Hafen», 1929, heraus. In den vier erstgenannten wirbeln Gesichter, Masken, Augen, Gesichtsausschnitte, Rosetten und geometrische Figuren in einem geordneten Chaos durcheinander. Während Widerhold die fieberhaften Bewegungen und klanglichen Dissonanzen der Goldenen 20er Jahre in der Jazz-Symphonie ganz im Sinne eines Wimmelbildes auf die Spitze treibt und ein abstrahiertes ausuferndes Festwogen evoziert, leben die ein Jahr später gemalten «Bogenschützen» im farbigen Rhythmus geometrischer dekorativer Formen. Diese Komposition ist bei all ihrer intensiven Farbigkeit und raumgreifenden Bewegung doch wohl strukturiert und wirkt dabei äusserst harmonisch.

In den «Segelbooten im Hafen», 1929, dominieren konstruktivistische und geometrische Elemente und wechseln ab mit architektonischen und linearen Formen, dynamisch unterbrochen von rechteckigen Flächen. Die Farben Rot, Orange und Gelb stehen im Kontrast mit Blauvariationen, Grün und Braun. Zuoberst thront auf einer gelben Scheibe ein in Goldbronze gemalter Sonnenball. Unweigerlich denkt man an Fritz Langs monumentalen Stummfilm «Metropolis», der 2 Jahre zuvor die Kinosäle zu erobern beginnt. In diesem Kontext ist zu betonen, dass in den Goldenen 20er Jahren Musik und Theater, Literatur und Kunst, Ballett und Zirkus, Varieté und Zirkus einander befruchten und sich dem Publikum als spartenübergreifende Künste darbieten.

Bühnenbilder

So ist Wiederhold neben seiner Tätigkeit als Maler auch ein Kind der Bühne, nicht nur auf Grund seiner Ausbildung, sondern auch durch seine rege Tätigkeit als Bühnenbildner am Ostpreussischen Stadttheater in Tilsit, wohin er im Sommer 1929 von Berlin übersiedelt. In nur zwei Jahren entstehen Szenerien zur Operette «Die lustige Witwe», 1928, von Franz Lehar, zu Henrik Ibsens Drama «Wenn wir Toten erwachen», 1929, zu Frank Wedekinds Schauspiel «König Nicolo», 1929, zu George Bernard Shaws Theaterstück «Man kann nie wissen», 1929, zum Schauspiel «Ölrausch» von Jack Larric, 1929, zur Komödie «Die Heirat» von Nikolai Gogol, um nur die wichtigsten aufzuzählen. Ein leuchtendes Kolorit und konstruktive, geometrisierende Stilmittel prägen diese erzählerischen Szenerien, von denen mehrere in bildhaften Entwürfen der Nachwelt erhalten geblieben sind.

Figurinen

Wiederhold bleibt es nicht erspart, während des Zweiten Weltkriegs zum Militärdienst einberufen zu werden. Gegen Ende des Krieges gerät er in britische Kriegsgefangenschaft. Während dieser Jahre schafft er seine letzten Werke: tanzende, kostümierte Figurinen, die im Gegensatz zu seinen Werken der Vorkriegszeit eher kleinformatig sind. In diesen skurrilen Tänzerinnen dominieren rote und blaue Farben in Gouache, Kreide und Farbstift, von Weiss und Schwarz akzentuiert.

Rückzug und Wiederentdeckung

Als Herwarth Walden 1932 in die Sowjetunion übersiedelt, wo er 1941 im stalinistischen Terror umkommt, verliert Wiederhold seinen hoch geschätzten Galeristen für immer. Ab Februar 1933 herrschen in Deutschland die Nationalsozialisten, unter deren Berufsverbot auch Wiederhold zu leiden hat. Zutiefst enttäuscht gibt er seinen Beruf als Künstler und Bühnenbildner auf und arbeitet von da an als Buchhändler. 1962 stirbt er in Berlin, wo ihn der Ungarn stämmige und in Basel lebende Sammler und Kunsthändler Carl Laszlo glücklicherweise einige Jahre zuvor wieder entdeckt hat. Fasziniert von dessen Werken, die er in alten STURM Katalogen aufgestöbert hat, ruft Laszlo den Künstler kurzerhand in Berlin an und besucht ihn in dessen Wohnung. Er ist von Wiederholds Oeuvre derart begeistert, dass er ihn in sein Galerieprogramm aufnimmt und dessen Werke auch über Wiederholds Tod im Jahr 1962 hinaus der Öffentlichkeit näherbringt.