GALERIE

Hans Jörg Glattfelder, *1939

Geboren 1939 in Zürich, gehört Hans Jörg Glattfelder zur zweiten Generation der Zürcher Bewegung der konstruktiv konkreten Kunst, die von Max Bill, Richard Paul Lohse, Fritz Glarner, Camille Graeser und Verena Loewensberg begründet worden ist. In dieser Kunst geht es um die Abbildung der nicht realen Welt, kreiert im Geiste des Künstlers, als um alles, was nicht in der realen Umwelt vorkommt.

In Zürich studiert Glattfelder zunächst Jurisprudenz, Kunstgeschichte und Archäologie. Da ihn diese Studienfächer zu wenig befriedigen, reist er 1960 nach Sizilien, wo er für den Sozialreformer Danilo Dolci tätig ist. Hier lernt er seine erste Frau kennen, die bei Dolci als Bibliothekarin arbeitet. Seine nächste Station ist 1963 Florenz, wo seine sparsam strukturierten farbigen Linienbilder entstehen, die aus dynamischer Bewegung leben. Nach mehreren Gruppenausstellungen in verschiedenen italienischen Städten stellt Glattfelder 1966 erstmals in Mailand aus, wo er sich dann 1970 mit seiner zweiten Frau, Eva Hultberg, niederlässt.

In dieser ersten Schaffensphase konzipiert Hans Jörg Glattfelder ganz im Sinne der Konstruktiv Konkreten Kunst seine Werke auf geometrischen Grundlagen in freier Anlehnung an mathematische Formeln zunächst in der Theorie, um sie dann in der Praxis in der Materialisierung von Geistigem sowie einem Zusammenspiel von Form und Farbe auszuführen. Dabei bewegen sich seine Werke im Spannungsfeld von Linie, Fläche und Raum. In seinen Werkserien erforscht er die geometrischen Gesetzmässigkeiten und die unterschiedlich sinnliche Wirkung der gesetzten Farben. Siehe «Streckung», 1975.

Dies manifestiert sich auch in seinen Werkserien, wie z.B. den berühmten «Pyramiden-Reliefs», mit denen er seit 1967 erstmals Furore macht und die fortan Einzug in internationale öffentliche und private Ausstellungsräume halten und von grossem Erfolg gekrönt sind. Diese farbigen raumgreifenden Reliefs, die zum Teil auch an Op-art erinnern, entstehen mit Hilfe von Spritzguss in Stahlmatrizen und werden in einer abschliessenden Schaffensphase mit Lack besprüht.

In den 1970er Jahren beschreitet Glattfelder revolutionäre Wege in der Konstruktiv Konkreten Kunst, erfindet er doch seine «Nicht-euklidischen Metaphern», angeregt durch Literatur über Astrophysik und nicht-euklidische Geometrie, in der die Raumzeitkrümmung, die Krümmung des Raums durch Gravitation, im Mittelpunkt steht. Diese physikalischen Theorien manifestieren sich bei Glattfelder in dynamisch in den Raum sich erstreckenden Rhombenflächen, die wie farbige Drachenkörper anmuten, welche die Gesetze der konstruktiv konkreten Kunst und damit der euklidischen Geometrie schlechthin durchbrechen.

Diese «Nicht-euklidischen Metaphern» bedeuten ein absolutes Novum in der Kunst und finden zunächst nur in aufgeschlossenen Kreisen Beachtung. Wie alles Neue und Andere muss auch diese neue grossartige Formensprache von Sammlern und Kulturschaffenden erst verstanden und «angenommen» werden. Siehe zum Beispiel «Transparenz aus Gross über Klein», 2003, «4 Richtungen», 2009, «Ein iks», 2011, oder «Erinnerung an Vordemberge», 2020, um nur einige Beispiele zu nennen. Mittlerweile sind Glattfelders «Nicht-euklidische Metaphern» in Fachkreisen wie auch bei Kunstliebhabern sehr geschätzt und in vielen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.

Ganz allgemein in Glattfelders Kunst, und ganz besonders in diesen «nicht-euklidischen Metaphern», verbinden sich Ratio und Ideenreichtum, Linie und Fläche, Farbe und Form und immer wieder von Neuem die Freude am Experimentieren und das Suchen nach weiteren Ausdrucksmöglichkeiten.

Diese Offenheit für Innovation und Anderes widerspiegelt sich auch in Glattfelders Biographie. So hatte er 1990 ein Atelier in New York inne und fand acht Jahre später in Paris in nächster Nähe des Centre Pompidou eine neue künstlerische und private Heimat. Seit 2015 lebt der Künstler wieder in der Schweiz, im Dreiländereck Basel, gemeinsam mit seiner Frau Eva. Museen wie das Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop, 1992, die Fondation Saner in Studen, 1998, das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, 1999, das Museum Haus Konstruktiv in Zürich, 2013, das Vasarely Museum in Budapest, 2014, sowie das Museum Ritter in Waldenbuch, 2019, widmeten dem Künstler viel beachtete monographische Ausstellungen. Unter den Ehrungen, die Glattfelder bisher zuteil wurden, sind die Aufnahme in die Stiftung für Konkrete Kunst und Design in Ingolstadt im Jahr 2015 sowie die Verleihung des Preises Peter C. Ruppert für Konkrete Kunst in Europa ein Jahr später im Kulturspeicher in Würzburg zu nennen.