GALERIE

Petra Petitpierre, 1905-1959

Geboren wird die angehende Künstlerin 1905 in Zürich unter ihrem Mädchennamen Frieda Petra Kessinger. In ihrer Jugend verursacht ihr eine Hüftgelenksentzündung, die sie mit 9 Jahren aufgrund eines Stosses auf die Hüfte erleidet, ein stark verkürztes Bein. Da dieses aufhört zu wachsen, muss sie sich mehreren Operationen unterziehen.

Frieda Kessinger absolviert ihre Schulzeit in Zürich und macht anschliessend eine kaufmännische Lehre. Trotz ihren körperlichen Beschwerden möchte sie eine künstlerische Laufbahn ergreifen. Deshalb absolviert sie 1923, ebenfalls in Zürich, einen Modellierkurs beim Maler und Bildhauer Eduard Bick.

Als Frieda Kessinger 20 Jahre alt ist, korrigiert ein weiterer chirurgischer Eingriff «diese Krüppelhaftigkeit», wie sie ihren bisherigen Zustand selbst nennt, indem ihr verkürztes Bein verlängert wird.

1926 folgt ein Kurs im Aktzeichnen an der ETH Zürich, bei dem sie ihren zukünftigen Ehemann, Hugo Petitpierre, kennen lernt. Ihre zumeist kleinformatigen Gemälde aus dieser Zeit dokumentieren bereits die formalen Kriterien der späteren Dekaden: abstrakte und verspielte Formen, meist auf Karton oder Holz gemalt.

Durch einen weiteren gesundheitlichen Rückschlag, einen schweren Verkehrsunfall, erleidet Kessinger 1927 einen Schädelbasisbruch, von der ihr ein Gehörschaden zurückbleibt.

Entgegen allen Widrigkeiten plant sie eine Weiterbildung am Bauhaus Dessau, wo sie sich 1929 um die Aufnahme bewirbt. Währenddessen arbeitet sie als Buchhalterin.

Im Oktober kommt sie in Dessau an und wird Schülerin von Josef Albers und Wassily Kandinsky, 1930 von Paul Klee.

Die Vermittlung von zeitgenössischen Kunsttheorien bildet die Grundlage der soliden Ausbildung am Bauhaus, dabei hat insbesondere Klee einen positiven Einfluss auf die junge Künstlerin. In einer Zeit der politischen Unruhe erhält Klee ein Jahr später die Berufung an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf. Kurze Zeit später wechselt auch Frieda Kessinger an jene Ausbildungsstätte. Dort wird sie auch von dem Künstler Heinrich Campendonk unterrichtet, der an der Kunstakademie eine Professur wie Paul Klee innehat, bei dem Kessinger 1932 als Meisterschülerin abschliesst.

Von Oktober 1933 bis Frühling 1934 folgt ein Aufenthalt in Paris, wo sie an der Ecole des Beaux-Arts, der Privatakademie von André Lothe, und an der Académie de la Grande-Chaumière bei Fernand Léger studiert.

 

Der aus Murten stammende Architekt Hugo Petitpierre wird 1934 ihr Ehemann. Nun nennt sie sich Petra Petitpierre und signiert sogar auch frühere Arbeiten nachträglich auf diese Weise.

Ab 1936 bis zu ihrem Tod 1959 spielt sich ihr Leben hauptsächlich in Murten ab. Die gemeinsame Tochter Simone sowie ihre Aufgaben als Ehefrau und Mutter fordern viel Zeit ein, was ihr nur wenig Raum für eine weitere künstlerische Entfaltung lässt. Zudem ist die nicht einfache Ehe mit Hugo Petitpierre eine Belastung, was schliesslich auch zur Trennung und 1951 zur Scheidung führt.

Ab Ende der 1930er Jahre kann sie sich künstlerisch wieder verwirklichen; Petitpierre nimmt an Ausstellungen teil, sowohl in der Schweiz, als auch im Ausland. 1945 kann sie ihre erste Einzelausstellung eröffnen (Lyceum Club, Bern) und erhält somit eine erste grössere öffentliche Anerkennung.

In den kommenden Jahren folgen weitere Einzelausstellungen, jedoch leidet sie ihr ganzes Leben lang unter schwierigen finanziellen Verhältnissen.

1957 erkrankt sie an einer schweren Form von Polyarthritis, so dass ihr das Arbeiten bald verunmöglicht wird.

Petra Petitpierre verfolgt in ihrem Werk konsequent die Richtung der Abstraktion in einer ausserordentlichen Vielfalt. Die frühen Werke, die noch aus der Zeit vor ihrer Ausbildung am Bauhaus stammen, weisen bereits den Weg: die verspielten Gebilde, die manchmal auch an Vorbilder aus der gegenständlichen Welt erinnern, bestechen mit einem enormen Farben- und Formenreichtum. Gemäss Petitpierre sind die Farben «in der Malerei das Wesentliche, es ist das Geheimnisvolle, das Poetische, und eine ganz persönliche Sache».

Ebenso früh beginnt sie, ihre Bildformen auszuschneiden, um sie dann zu etwas Neuem zusammen zu fügen. Ihre Werke werden durch den Eindruck einer ständigen Bewegtheit der amorphen Gebilde charakterisiert.

Künstlerisch wendet Petitpierre häufig «Abstrahierungen» an – es handelt sich dabei um eine Entfernung vom ursprünglichen Gegenstand durch Weglassen oder Hinzufügen von bestimmten Inhalten. Der Titel des Werks verweist noch auf das ursprüngliche Vorbild; die Künstlerin überlässt dabei jedoch viel der Fantasie des Betrachters.

Ende der 1930er Jahre, also nach einer mehrjährigen Unterbrechung, entstehen zartere Zeichnungen mit Tusche. Die feine Strichführung erinnert an Kalligraphie und kreiert flüchtige Wesen, so beispielsweise Wie eine Ente (1932, Tuschpinsel auf Papier).

In den 1940er Jahren entstehen vor allem kleine Ölbilder mit Alltagsszenen oder pflanzlichen Motiven.

Ende der 40er Jahre setzt Petitpierres Spätwerk ein: In dieser Zeit beschäftigt sie sich mit abstrakten Formen, die im Raum zu schweben scheinen und zu Fantasiegefügen vereint sind, sowie mit architektonischen Städtebildern.

In ihren eigenen Betrachtungen zur Kunst nimmt die Linie eine wichtige Rolle ein: Petitpierre hält fest, dass sich die Linie analog zu den Aufgaben der Kunst verändert. Das Auflösen der Linie ist Teil der abstrakten Kunst, was sie mit ihren ungegenständlichen Kompositionen der 1950er Jahre verdeutlicht. Jedoch vermag sie mit den Grenzen zu spielen: aus der gleichen Zeit stammen ebenfalls Werke ohne Gegenständlichkeit, in denen die Linie in unterschiedlichen Farben ein wichtiges Gestaltungsmerkmal darstellt, beispielsweise Nature Morte Abstraite (1952, Öl auf Leinwand) Intermezzo (1953, Ölkreide auf Papier).

In ihren späteren Gemälden erinnern die der Farbe beigemischten Zuckerkristalle oder die körnige Textur der Farbe an ihren Lehrmeister Klee; Dieser mischte Stoff, Salz oder Zucker mit seinen Farben, wenn er eine besondere Struktur wünschte.

Petra Petitpierre verfolgte bereits als junge Frau eine für die damalige Zeit höchst ungewöhnliche und unkonventionelle Ausdrucksweise und blieb dieser ihr ganzes Leben lang treu. Es war eine Frage der künstlerischen Freiheit, die viel Mut und Durchhaltevermögen erforderte, was noch heute in der Vielfalt ihrer Werke entdeckt werden kann.

 

Petra Petitpierre, 1905-1959

The future artist was born in Zurich in 1905 under her maiden name Frieda Petra Kessinger. In her youth, an inflammation of the hip joint, which she suffers at the age of 9 due to a blow to her hip, causes her to have a severely shortened leg. As this stops growing, she has to undergo several operations.

Frieda Kessinger completes her schooling in Zurich and then does a commercial apprenticeship. Despite her physical ailments, she wanted to pursue an artistic career. So in 1923, also in Zurich, she took a modelling course with the painter and sculptor Eduard Bick.

When Frieda Kessinger was 20 years old, another surgical intervention corrected “this crippledness”, as she herself called her previous condition, by lengthening her shortened leg.

In 1926 she followed a course in nude drawing at the ETH Zurich, where she met her future husband, Hugo Petitpierre. Her mostly small-format paintings from this period already document the formal criteria of the later decades: abstract and playful forms, mostly painted on cardboard or wood.

Due to another health setback, a serious traffic accident, Kessinger suffered a fracture of the base of her skull in 1927, from which she was left with hearing damage.

Against all odds, she planned to continue her education at the Bauhaus in Dessau, where she applied for admission in 1929. Meanwhile, she works as an accountant.

She arrived in Dessau in October and became a student of Josef Albers and Wassily Kandinsky, and in 1930 of Paul Klee.

The teaching of contemporary art theories formed the basis of the solid education at the Bauhaus, with Klee in particular having a positive influence on the young artist. A year later, in a time of political unrest, Klee receives an appointment to the State Academy of Art in Düsseldorf. A short time later, Frieda Kessinger also moved to this training centre. There she was also taught by the artist Heinrich Campendonk, who held a professorship at the art academy like Paul Klee, with whom Kessinger graduated as a master student in 1932.

From October 1933 to spring 1934 she stayed in Paris, where she studied at the Ecole des Beaux-Arts, the private academy of André Lothe, and at the Académie de la Grande-Chaumière with Fernand Léger.

Hugo Petitpierre, an architect from Murten, became her husband in 1934. She now called herself Petra Petitpierre and even signed earlier works in this way afterwards.

From 1936 until her death in 1959, her life took place mainly in Murten. Their daughter Simone and her duties as wife and mother demanded a lot of her time, which left her little room for further artistic development. In addition, her marriage to Hugo Petitpierre, which was not easy, was a burden, which eventually led to their separation and divorce in 1951.

From the end of the 1930s she was able to realise her artistic potential again; Petitpierre took part in exhibitions, both in Switzerland and abroad. In 1945 she was able to open her first solo exhibition (Lyceum Club, Bern) and thus received her first major public recognition.

In the following years, further solo exhibitions followed, but she suffered throughout her life from difficult financial circumstances.

In 1957 she fell ill with a severe form of polyarthritis, which soon made it impossible for her to work.

Petra Petitpierre consistently pursued the direction of abstraction in her work in an extraordinary variety. The early works, which date back to the time before her training at the Bauhaus, already point the way: the playful structures, which sometimes also recall models from the figurative world, captivate with an enormous richness of colour and form. According to Petitpierre, the colours “are the essence of painting, it is the mysterious, the poetic, and a very personal thing”.

Just as early, she began to cut out her pictorial forms in order to then assemble them into something new. Her works are characterised by the impression of a constant movement of the amorphous structures.

Artistically, Petitpierre often applied “abstractions” – it is a removal from the original object by omitting or adding certain contents. The title of the work still refers to the original model; however, the artist leaves much to the viewer’s imagination.

At the end of the 1930s, after an interruption of several years, she produced more delicate drawings in ink. The fine strokes are reminiscent of calligraphy and create fleeting creatures, such as Like a Duck (1932, ink brush on paper).

In the 1940s, she mainly produced small oil paintings of everyday scenes or plant motifs.

Petitpierre’s late work began at the end of the 1940s: During this period, she is preoccupied with abstract forms that seem to float in space and are united into fantasy structures, as well as with architectural cityscapes.

In her own reflections on art, the line takes on an important role: Petitpierre holds that the line changes analogously to the tasks of art. The dissolution of the line is part of abstract art, which she illustrates with her non-representational compositions of the 1950s. However, she is able to play with the boundaries: from the same period there are also non-representational works in which the line in different colours is an important design feature, for example Nature Morte Abstraite (1952, oil on canvas) Intermezzo (1953, oil pastel on paper).

In her later paintings, the sugar crystals added to the paint or the grainy texture of the paint are reminiscent of her teacher Klee; the latter mixed fabric, salt or sugar with his paints when he wanted a particular texture.

Even as a young woman, Petra Petitpierre pursued a highly unusual and unconventional mode of expression for the time and remained true to it throughout her life. It was a matter of artistic freedom that required a great deal of courage and stamina, which can still be discovered today in the diversity of her works.